Einordnung: Zivilrecht / Testierfreiheit
Konkret: Sittenwidrigkeit einer Testamentsklausel: „Der Lebensgefährte darf nicht ins Haus!?“
Sachverhalt:
Die Klägerin erbte als einzige Tochter ihrer verstorbenen Mutter im Wesentlichen ein Hausgrundstück mit einem freistehenden Einfamilienhaus in Bochum, das sich seit Jahrzehnten im Eigentum der Familie befand und in dem die Mutter in einer und die Tochter mit der Enkelin (bis zu deren Auszug 2016) in einer weiteren Wohnung lebten. Die Enkelin wurde als Miterbin eingesetzt. Der langjährige Lebensgefährte der Tochter hatte eine eigene Wohnung in der Nachbarschaft, ging aber in dem Haus ein und aus, war der Ziehvater der Enkelin und nahm im Haus auch Reparaturen vor. Es gab zu keiner Zeit Streit oder ein Zerwürfnis und man lebte wie eine Familie zusammen.
In einem notariellen Testament, in dem die Tochter und die Enkelin als Erbinnen eines Einfamilienhauses eingesetzt wurden, waren hierfür allerdings zwei Bedingungen formuliert. Zum einen war es den Erbinnen untersagt, das Grundstück an den Lebensgefährten der Tochter zu übertragen. Zum anderen sollten die Erbinnen dem Lebensgefährten auf Dauer untersagen das Grundstück zu betreten. Zur Überwachung des Betretungsverbots wurde der Beklagte als Testamentsvollstrecker eingesetzt. Er sollte die Immobilie bei einem Verstoß gegen die Bedingung veräußern, wobei der Erlös zu ¼ der Tochter, einem ¼ der Enkelin und im Übrigen gemeinnützigen Zwecken zukommen sollte. Der langjährige Lebensgefährte der Tochter ging in dem Haus ein und aus, war der Ziehvater der Enkelin und nahm im Haus auch Reparaturen vor. Es gab zu keiner Zeit Streit oder ein Zerwürfnis und man lebte wie eine Familie zusammen.
Lösung:
Sittenwidrigkeit kann mit Blick auf die Testerfreiheit nur in sehr engen Ausnahmefällen angenommen werden. Dies gilt auch für Bedingungen. Ein schwerwiegender Ausnahmefall, der zur Sittenwidrigkeit einer Bedingung führen kann, ist immer nur dann anzunehmen, wenn in der Abwägung zwischen der Testierfreiheit der Erblasserin und den Freiheitsrechten der Betroffenen anzunehmen ist, dass die nur bedingte Zuwendung einen unzumutbaren Druck auf die Bedachten ausübt, sich in einem höchstpersönlichen Bereich in einer bestimmten Art und Weise zu verhalten. Bedingungen, die dagegen lediglich die Nutzung des vererbten Vermögensgegenstandes betreffen, sind dagegen regelmäßig zulässig.
Das bis zum Tod der Erblasserin unstreitig praktizierte familiäre Zusammenleben könnte aufgrund der Bedingung nicht mehr in dieser Form fortgeführt werden. Damit ist aber der höchstpersönliche Bereich der Lebensführung der Tochter betroffen und die Bedingung sittenwidrig und nichtig. Für die Rechtsfolge ist weiter davon auszugehen, dass die Erblasserin ihre Tochter und ihre Enkelin auch ohne die unwirksame Bedingung zur Erbinnen eingesetzt hätte, so dass die Sittenwidrigkeit nur dazu führt, dass die Bedingung entfällt.
Der Beklagte nahm seine Berufung nach obiger Erörterung der Rechtslage zurück.
PM vom 19.07.2023
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